ein abenteuer endet, ein anders beginnt… bald 🇩🇪

Nach einer letzten Etappe von Deutschlands Norden in den Westen beenden wir unsere Fahrradweltreise an Tag 503

Tag 492 bis 503 (7.08. bis 18.08.23)
Distanz: Tilmann: 779 km (∑ 28.757 km); Julia: 341 km (∑ 24.000 km)
Höchster Punkt: 180 m
Tiefster Punkt: 5 m
Rauf: 5.340 m
Runter: 5.320 m

Das ist es also, unser Heimatland? Eine kleine Brücke führt über den mit nur 7,5 km Länge winzigen Ostseezufluss Krusau und unbemerkt überschreiten wir die dänisch-deutsche Grenze an einem grauen windigen Tag im August. Da sind wir wieder, in diesem Land, mit dem seine Bewohner*innen sehr ambivalente Gefühle, wie dies in kaum einem zweiten Land der Fall sein dürfte, das wir in den letzten 16 Monaten besucht hatten, verbinden. Auch wir haben uns immer wieder gefragt, ob wir eigentlich wirklich hier hin zurück wollen. Aber warum nicht? Es ist keinesfalls so, dass es woanders viel besser wäre, es ist nur eben anders. Ein entscheidender Grund für uns, warum wir hier leben wollen (zumindest vorerst), ist die Sprache, mit der wir uns so vielfältig ausdrücken können. Sie ermöglichte uns Seiten um Seiten mit unseren Reiseerlebnissen zu füllen, in einem Stil, den wir in keiner anderen Sprache jemals können werden. Ja, unser Englisch ist auch nach dieser Reise noch lange nicht verhandlungssicher, da wir erstens den überwiegenden Teil der Reise in Ländern unterwegs waren in denen die Durchschnittsbevölkerung schlechter Englisch spricht als in Deutschland und zweitens einfach so viele Deutsche getroffen haben.

Natürlich gibt es Dinge, die uns hier gefallen und es gibt Dinge, die uns hier nicht gefallen. Und einiges fällt uns nach langer Abwesenheit einfach neutral auf:

– Das Radwegenetz ist stark ausgeprägt, aber auf vielen Kilometern in baufälligerem Zustand als Autobahnbrücken.

– Die Preissteigerung hat uns nicht geschockt. Wir haben den Eindruck, dass Lebensmittel nicht teuer sind (zumindest im Discounter), sondern für ein reiches Land immer noch sehr günstig.

– Wenn man die Gespräche versteht, die Menschen um einen herum führen, ermöglicht das ganz andere Einblicke in den Gemütszustand einer Gesellschaft. Ja, die Deutschen lieben es zu Jammern. Dazu eine kleine Anekdote, die unsere zeitweise Reisebegleitung und nun leider Doch-nicht-Mitbewohnerin (dazu kommen wir später) Kathrin nach ihrer Rückkehr berichtete: Sie saß in einem neuen Restaurant in ihrem Heimatort, am Nebentisch wurde über die Speisequalität und das Preis-Leistungs-Angebot des neuen Etablissement gesprochen: „Da kann man nicht meckern, nein, da kann man nicht meckern!“ Die deutsche Brille: Wir gehen vom schlechten aus und sind dann fast etwas traurig wenn sich dies widererwartend nicht bestätigt.

– Viele Obdachlose und Bettler, viel mehr als in jedem Land, das wir bereist haben. Warum nur?

– Viele Menschen: Volle Züge, volle Straßen, volle Läden. Man spürt die hohe Einwohnerdichte.

– Die Deutsche Bahn ist überlastet. W-Lan funktioniert nicht, Toiletten funktionieren nicht, Aufzüge funktionieren nicht. Neben Verspätungen also einfach grundlegende Dinge, die in anderen Ländern funktioniert haben. Das ist natürlich eine Binsenweisheit, aber sie sticht einem ins Auge, wenn man gerade aus reichen nordischen (Nachbar-)Ländern kommt, in denen dies besser zu funktionieren scheint.

– Viele Windräder (im Norden), die sich schön in die Landschaft einfügen.

– Interessierte nette und aufgeschlossene Menschen, aber auch genervte, unentspannte Menschen, die sich selbst am nächsten sind.

– Trinkwasser auf Friedhöfen!

– Keine öffentlichen Toiletten oder versiffte Toiletten für die man auch noch bezahlen muss.

– Das „Bitte keine Fahrräder an den Zaun lehnen“-Schild, das die Bootsgemeinschaft Schusterkate direkt hinter der Grenze an ihrer Grundstücksbegrenzung angebracht hat, könnte man als typisch deutsch bezeichnen, aber das ist nun wirklich ein ödes Klischee. Wenigstens die Polen und die Skandinavier sind da mindestens genauso spießig.

Durch Deutschland mit dem Fahrrad, fuhr Tilmann nun hauptsächlich der Ehre wegen, denn das Wetter lud überwiegend nicht dazu ein. Julia fuhr den Großteil der Strecke parallel mit dem Zug. Btw ein Hoch auf das 49-Euro-Ticket, das ja in unserer Abwesenheit eingeführt wurde und wirklich genial ist.

Gleich am Tag des Grenzübertritts wollten wir unsere teure und nicht besonders zufriedenstellende Reiseversicherung bei der Hanse Merkur loswerden, um keinen Tag zuviel Beiträge zu bezahlen. Wie so häufig, wurde als Nachweis für eine Rückkehr nach Deutschland ein Flug- oder Zugticket oder ein anderer geeigneter Nachweis verlangt. Was ein anderer geeigneter Nachweis sein soll wird im Internetauftritt der Hanse-Merkur nicht verraten und da man auf E-Mailanfragen keine Antwort erhält und auch die Telefonhotline einen lediglich in endlose Warteschleifen zwingt, machten wir uns hierzu unsere eigenen Gedanken.

Am naheliegensten erschien es uns in einer Filiale der Versicherung vorstellig zu werden. Dort sollte es ein Leichtes sein nach Vorlage unseres Passes ein zweizeiliges Schreiben aufzusetzen, dass wir persönlich in Filiale XY vorstellig geworden sind, was unsere Rückkehr nach Deutschland zweifelsfrei belegt hätte. Die Geschäftsstelle in der Kieler Innenstadt existierte jedoch nur auf googlemaps und natürlich lehnte es Frau Gerret Weinert in ihrem Büro in der Hamburger diesen pragmatischen Vorschlag kategorisch ab.

So versuchten wir es mit einem entsprechenden Hanns-Martin-Schleyer-Gefangener-der-RAF-Foto mit der Hamburger Lokalausgabe der Bildzeitung, was die Krankenkasse aber ablehnte. Wir hatten aber, das muss man fairerweise einräumen, auch davon abgesehen zusätzlich noch den Schriftzug des Kieler Hauptbahnhofs mit aufs Bild zu nehmen, da wir die Bild mit dem Erwerb dieses Organs der Niedertracht nicht finanziell unterstützen wollten. Stattdessen wollte der sich an der Hotline namentlich vorgestellte Michael Maier (wer es glaubt wird selig) einen Kaufbeleg, auf dem unsere EC-Karten-Nummer vermerkt sei. Ja, auf einmal hatten wir doch jemanden bei der Hotline erreicht, angeblich war das doch unmöglich. Nun, da wir nicht damit rechneten dass die Hanse Merkur unsere wunderschönen Portraits so feierte wie wir, hatten wir uns eben doch zähneknirschend zwanzig Minuten in die Leitung gehängt für ein klärendes Gespräch. Wir mussten reden.

Nun also der Kassenbong mit EC-Kartennummer drauf. Doch schnell stellten wir fest, dass Aldi, Kaufland, Rewe, also naheliegende Ausgaben für Quittungen, nicht die EC-Karten-Nummer auf ihren Belegen vermerkten. Ausgerechnet „Die Junge Bäckerei„, wer sollte es ahnen, druckte die halb-ausgeixte Nummer auf die Rechnung. Das entdeckten Julia nun eher durch zufälligen Kaffee-Konsum. Tilmann hingegen musste seinem ersten Kassenbon vom 9.8. (also schon zwei Tage zuviel gezahlt) noch einen entsprechenden Kontoauszug beilegen. Inzwischen ist Tilmann immerhin aus den Klauen der Mafia befreit während es bei Julia wohl wegen einiger vorher noch eingereichter Rechnungen noch andauert.

Doch wer denkt, wir hätten diese letzten Tage nicht genossen, täuscht sich. Es war gut, sich die Rückkehr Stück für Stück zu erarbeiten. Auch hier konnten wir noch schöne Strecken radeln, haben noch ein paar schöne Plätze für unser Zelt gefunden und die Rückkehr mit einigen Besuchen verbunden. Einige dieser Kontakte sind aufgrund unserer Reise erst entstanden und einige wurden aufgrund unserer Reise wieder mit Leben gefüllt.

So blieben wir die Nacht Nr. 1 nach unserer Rückkehr in Kiel bei Tabea, die Tilmann noch aus seiner (inzwischen auch schon zehn Jahre zurückliegenden) Zeit in Rumänien kannte. Der Kontakt war über Instagram wieder aufgeflammt, wo wir uns gegenseitig folgen. Die Fahrt dorthin war wegen des markanten Wetters durchaus abenteuerlicher als man es bei einer Fahrt von Flensburg nach Kiel gemeinhin annehmen könnte und Tilmann überlegte mehrfach, ob es wirklich klug war durch den ein oder andern Wald zu fahren, da sich die Bäume in beunruhigender Weise unter den Luftmassen bogen als seien sie Pusteblumen.

In Hamburg besuchten wir die zwei Radreisenden Claudia und Erik, die Tilmann in Norwegen getroffen hatte. Die beiden waren insgesamt ein Jahr unterwegs gewesen und waren zuletzt von Sizilien zum Nordkapp und von dort zurück in ihre Heimat Hamburg gereist. Sie waren also in einer ähnlichen Situation wie wir bald sein würden, denn zumindest Claudia war ebenfalls mit dem Arbeitsamt zugange. Erik allerdings hatte als Lehrer ein Sabbatical eingelegt und die beiden hatten auch ihre Wohnung behalten. Wo Julia schon einmal in Hamburg war, war natürlich auch ein Besuch bei ihrer Freundin Steff und dem erst 2 Monate alten Freddi obligatorisch, der vor lauter Aufregung ob des weit gereisten Besuchs an diesem Tag besonders viel Hunger hatte und schließlich unter dem Geschnatter der beiden Freundinnen in Julias Arm einschlummerte.

Und wir verbrachten einen sehr entspannten Ruhetag zwischen Osnabrück und Bielefeld, bei Gesa, die Tilmann noch aus seiner Studienzeit kannte und während unserer Reise eine unserer treusten und intensivsten Blog-Leserinnen wurde, nachdem wir zuvor gut zehn Jahre nichts mehr voneinander gehört hatten. Gesa brachte uns die herzliche Willkommenskultur entgegen, die wir aus der arabischen Welt kannten uns ließ uns gleichzeitig in Ruhe mit Aktivitäten, die wir aufgrund unseres ausgeprägten Faulheitsverlangens an Ruhetagen, wieder einmal ausschlugen. Ihre Töchter interessierten sich sehr für unsere Reise, wie wir denn mit den Menschen überall gesprochen hätten, wie wir es geschafft hatten nicht zu fliegen und wie es ist so oft und so lange in einem Zelt zu schlafen. Und schon wieder wurde ein riesiger Berg Steinpilze zu unseren Ehren gesammelt und zubereitet.

Ebenfalls besuchten wir Bochum, wo Tilmann von 2004 bis 2012 die Universitätsbank drückte und zeitweise mit zwei Matthiaken zusammenlebte, von denen uns nun einer ebenfalls für zwei Nächte Obdach gewährte. Tilmann zeigte Julia die Stadt bei grauem Himmel und wir besuchten die altbackene Stadtbibliothek, deren Toilette noch immer mit Blaulicht beleuchtet wird, um Fixern das Auffinden ihrer Venen zu erschweren. Auf dem Platz des europäischen Versprechens konnten wir Tilmanns Namen nicht finden, obwohl dieser dort neben 14.725 weiteren Namen sicher eingelassen sein muss. Immerhin fanden wir einen Matthias Henke.

Unsere letzte warmshowers Übernachtung auf unserer Reise hatten wir am zweiten Tag unserer Rückkehr nach Deutschland im beschaulichen Örtchen Borsfleth nahe Glückstadt und unweit der Elbe. Eigentlich hatten wir an diesem Tag zum ersten mal in Deutschland wildzelten wollen, doch das Wetter war derartig ekelhaft, dass wir sehr glücklich waren, ganz spontan bei Angelika und ihrem Mann Arno aufschlagen zu dürfen. Die beiden waren erst einen Monat auf der Plattform aktiv, hatten in der kurzen Zeit aber schon einigen Gästen Unterschlupf geboten. (Mal wieder) waren sie selbst keine Radreisenden, sondern durch ihren Sohn, der gerade auf Weltreise war, auf die Idee gebracht worden ihr Gästezimmer im ersten Stock auf diese Weise besser auszulasten.

Julia war mit Zug und nur 20 km Radfahrt pünktlich angekommen. Wegen mehrerer erzwungener Regenpausen und zu guter Letzt dem ersten Platten seit gut 4.500 km war Tilmann allerdings reichlich spät und reichlich durchnässt (ja die Icepeak-Regenjacke aus Schweden hat sich als echter Witz herausgestellt, keine Kaufempfehlung) in dieser charmanten und komfortablen Notunterkunft angekommen. Unsere Gastgeber waren daher schon bald im Bett und es gab nicht mehr viel Zeit zum Austausch. Das konnten wir dann aber beim Frühstück zumindest mit Angelika noch nachholen.

So fiel das erste Wildzelten in Deutschland auf Tag 495 nur wenige Kilometer südlich von Hamburg. Tilmann hatte den Tag in der Universitätsbibliothek verbracht, während sich Julia mit Steff getroffen hatte. Wir fanden ein schönes verstecktes Plätzchen in einem Wald neben einem ehemaligen Tagebau und es sollte tatsächlich trocken bleiben in der Nacht und auch am nächsten Morgen. Während wir bei früheren Trips immer etwas nervös gewesen waren beim Wildcampieren in Deutschland, hatte die jetzige Reise ihre Spuren hinterlassen und wir blieben gelassen.

Auch die nächste Nacht verbrachten wir im Edwin in einem Wald, nachdem Tilmann den ganzen Tag schnurstracks in Richtung Südwesten gefahren war, quer durch Niedersachsen, vorbei an unzähligen Schweineställen und mit Schützenabzeichen verzierten Häusern. Julia, die mit dem Zug vorausgeeilt war und den Platz ausbaldowert hatte, hatte nicht damit gerechnet, wie stark frequentiert der kaum als solcher erkennbare Trampelpfad war. Aber der E-Motorradfahrer, der für einen kurzen Plausch anhielt, hatte nichts einzuwenden und der Spaziergänger, der kurz vor der Dämmerung noch unterwegs war brabbelte, mehr zu sich selbst, nur: „Aha, Picknick im Wald, oh, appidappi, na dann!“

Am Morgen setzte dann der Regen ein und es sollte ein regenreicher Tag bleiben. Die letzten 15 km bis zu Gesa fielen für Tilmann dann komplett ins Wasser. Wenn nicht das rettende Ufer gelockt hätte, hätte er sich niemals durch diese Sturzfluten gekämpft, sondern irgendwo Unterschlupf gesucht. So verzichtete er aber sogar auf das Anlegen seiner Regenhose und stolperte so nass wie noch nie auf der gesamten Tour in die Diele von Gesas wunderschönem alten Fachwerkhaus in der idyllischen Landschaft am Nordrand des Teuteburger Waldes.

Am 499. Tag konnten wir, da wir aufgrund des späten Aufbruchs bei Gesa nur eine 42 km kurze Halbtagesetappe fuhren, noch einmal gemeinsam fahren. Ok, eigentlich fuhr Tilmann voraus und erledigte noch einen Einkauf, der Julia die Gelegenheit bot wieder etwas aufzuholen. Vor unserer Ankunft in Bochum zelteten wir dann ein weiteres mal gemeinsam im Wald, diesmal an einem in die Jahre gekommen Rastplatz mit einem Tisch aus einem Mühlstein, der fast schon kultischen Charakter versprühte. Dort bescherte uns das letzte Zeckennest auf dieser Reise noch ein paar Mitfahrer für den nächsten Tag, die wir erst in Bochum entdeckten und fluchend entfernten.

Am Tag der Abfahrt aus Bochum genossen wir zusammen die grandiose Fahrradinfrastruktur im Ruhrgebiet. Obwohl wir nun durch mehrere Großstädte fuhren, mussten wir auf den Radwegen, die auf alten Bahntrassen gebaut wurden, nicht stehen bleiben und fuhren fast ausschließlich durchs Grüne. Der Radschnellweg Ruhr RS1 endet momentan jedoch mehrmals überraschenderweise aprubt im Dickicht und das Ende der Trasse ist derartig final in die Landschaft gesetzt, dass man Zweifel haben kann, ob dieses Leuchtturmprojekt wirklich jemals vollendet wird. Unterwegs besuchten wir die beeindruckende Zeche Zollverein, die nur das bekannteste unter unzähligen außerordentlich sehenswerten Industriedenkmälern im Ruhrgebiet ist.

Im Ruhrgebiet ist der Kontrast zwischen unglaublich schönen und perfekt ausgebauten, stressfreien Fahrradwegen jenseits der Innenstädte und zwischen den einzelnen Kommunen zu den katastrophalen Zuständen innerhalb der Städte besonders groß. So findet man zwischen Rhein und Dortmund-Ems-Kanal eine unglaublich gute Fahrradinfrastruktur für Naherholungszwecke vor, die sich aber nur sehr bedingt auch für den Alltag nutzen lässt, der überwiegend durch die in Jan Böhmermanns Lied „Warum hört der Fahrradweg einfach hier auf?“ besungenen Zustände geprägt wird. Unterm Strich dennoch eine große Empfehlung: Eine Woche Radreise durchs Ruhrgebiet als Sightseeingtour vorbei am Landschaftspark Duisburg Nord, Bordsternpark, Gelsenkirchen, Kokerei Hansa und Gasometer Oberhausen!

Der große Kulturschock blieb aufgrund unserer langsamen Wiedereingliederung aus. Immerhin stolperten wir nicht wie viele Reisende aus dem Flugzeug, das noch vor ein paar Stunde in Hanoi gestartet war, sondern kamen aus Dänemark. Hört sich vielleicht nicht spektakulär an, dafür hört sich spektakulär an, dass Tilmann 28.757 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren ist und von Deutschland in den Oman und zurück nur 1.140 Kilometer in anderen Verkehrsmitteln zurückgelegt hat (drei unfreiwillige Kfz-Mitnahmen und diverse Fährfahrten), was rund 96% Fahhrradfahren auf der Gesamtstrecke entspricht.

Den einzigen Kulturschock, den Julia erlebte, ereignete sich am Tag 500 unserer Reise, als sie in Münster in den Zug stieg und in Wanne-Eickel wieder aus. In Münster war Julia bei Sonnenschein über Fahrradstraßen Richtung pitoresker Altstadt gefahren und hatte eine Pause in einem Café gemacht, in dem sich Studenten über die nächsten Festivals austauschten. Als sie bei ergrautem Himmel in Wanne-Eickel wieder den Zug verließ, gab es keine Radwege mehr, nur enge Straßen an denen sich Shisha-Bars mit Spielautomaten-Geschäften abwechselten, auf einer Verkehrsinsel wurde ‚Asr abgehalten (für Julia einst ein vertrauter Anblick, doch mittlerweile wieder etwas in Vergessenheit geraten) und eine weinende Jugendliche kam aus einem Polizeirevier und erzählte ihrer Mutter: „Die haben gesagt, es sei alles meine Schuld“, was die Mutter bestätigte.

Wie wir immer gewusst hatten, war es wichtig, nicht von heute auf morgen plötzlich wieder zuhause zu sein, sondern wie auf der ganzen Reise nahmen wir uns auch für die Rückkehr, die Zeit, die man mit dem Fahrrad eben braucht, auch wenn Julia aufgrund der geminderten Leistungsfähigkeit nun immer wieder Zug fuhr, aber damit ebenfalls keine größeren Distanzen überwand: Wir trennten uns vormittags und trafen uns spätestens abends wieder, uns war sehr wichtig, zusammen anzukommen.

Aber wo würden wir überhaupt ankommen? So richtig wussten wir das ja immer noch nicht. Ein langfristiges Zuhause hatten wir noch nicht gefunden und auch gemerkt, dass wir dafür noch viel Zeit brauchen werden. Mittlerweile hatten wir entschieden uns zunächst bei Kathrin in Limburg einzunisten, um von dort aus unsere nächsten Schritte zu planen. Vorher würden wir ja aber durch Köln kommen und bereits Tilmanns ganze Familie treffen, das wäre ja auch schon sowas wie Ankommen. Also legten wir irgendwann einfach fest, dass der 18. August und unsere Ankunft bei Tilmanns Schwester Katha in Köln das offiziell letzte Ziel unserer Reise sein sollte, obwohl bereits klar war, dass wir dirket am Folgetag wieder aufs Rad steigen würden, mit allen Taschen drum und dran. Aber irgendwo muss ja der Schlusspunkt sein.

Am Abend des 502. Tages war es dann soweit, wir schlugen das letzte Mal auf dieser Reise unser treues Edwin auf. Wir hatten Düsseldorf hinter uns gelassen, gerade das erste Mal wieder den beeindruckenden und mächtigen Vater Rhein erblickt und uns in seinen Auen ein schönes Plätzchen erspäht, das allerdings an diesem sonnig Donnerstagabend von Spaziergängern noch gut besucht war. Um eine Konfrontation mit einem missmutigen Jäger, Bauern oder Bürger in unserer letzten Nacht zu meiden, harrten wir noch bis zum Einbruch der Dunkelheit aus, bevor wir das Zelt auf einer frischgemähten Wiese errichteten. Wiedereinmal kitzelten uns Insekten in den Schlaf und die Feuchtigkeit übermannte unser Zelt, sodass der Abschied von diesem zeitweisen Zuhause uns nicht so schwer fiel.

Und dann war er da, der letzte Tag unserer Reise: Tag 503. Wie gesagt erwachten wir im nassen Edwin, schlugen es trotzdem zusammen, frühstückten auf der Bank vom Vorabend und brachen dann auf, die letzten Kilometer bis Köln-Westhoven zu bewältigen. Eigentlich wäre das eine schnelle Nummer geworden, doch wir zogen es in die Länge. Wie sich später herausstellen sollte, unterlag dies einem perfiden Plan von Tilmann, der sich aber aufgrund seiner Schauspielkünste nichts anmerken ließ und Julia keinerlei Verdacht schöpfte. Nicht nur dieser eine Tag, auch schon die Reisetage seit unserer Ankunft in Deutschland waren von Tilmann künstlich in die Länge gezogen worden, um erst an diesem 18. August in Köln anzukommen.

Zunächst „entschieden wir“ nach einer Pause in Leverkusen ein Schwimmbad zu besuchen, es war heiß und wir waren klebrig, also kam die Erfrischung wie gerufen. Uns erwartete ja eine Dusche, aber Tilmann behauptete er hatte die ganze Reise schon einmal ein Schwimmbad für eine Dusche aufsuchen wollen, was nie gelungen war. Wenigstens am allerletzten Tag wollte er sich diesen Wunsch, wenn auch ohne Not, erfüllen.

Anschließend suchten wir einen schönen Picknick-Platz und fanden diesem im Japanischen Garten von Leverkusen. Im Übrigen hatte Tilmann Julia angekündigt, dass Leverkusen ein furchtbares Drecksloch sei, was sie nun gar nicht nachvollziehen konnte, nachdem wir auf einem Radweg an einem kleinen Flüsschen zum Schwimmbad gefahren und anschließend durch breit angelegte Radweg-Aleen vorbei am Bayer-Headquater und durch ein hübsches Villenviertel zum sehr sehenwerten Japanischen Garten fuhren. Tilmanns Ausrede war, Leverkusen nur aus dem Zug und von der Autobahn zu kennen und eine derart einseitige Studie mag diesen Schluss zwar nahe legen, der so jedoch selbstverständlich reichlich unqualifiziert daher kommt.

Von Leverkusen war es nun nicht mehr weit bis Köln, aber „wir wollten“ noch ein Foto mit Dom schießen und uns noch eine kurze Arbeitspause gönnen (die Hoffnung starb zuletzt, unseren Blog vor Ankunft auf 0 zu ziehen), bevor wir bei Katharina einliefen. So suchten wir noch für eine Stunde die städtische Bücherei im Severinsviertel auf (an der Dependance am Wiener Platz in Mühlheim war uns nicht wohl die Fahrräder unbewacht zu lassen), aus der wir aber um 18 Uhr herauskomplementiert wurden. Tilmann wollte aber aus Gründen erst um 19 Uhr bei seiner Schwester sein und suchte also schon die nächste Ausrede.

Zum Glück war die nächste Eisdiele nicht weit, die auf Nachfrage hin bestätigte, auch veganes Eis zu führen.

Als nach Verzehr dieses Tilmann nun immer noch die Ruhe in Person war (jede*r Blog-Leser*in sollte mittlerweile wissen, dass dies außergewöhnlich ist), kam es Julia nun doch etwas komisch vor, sie vermutete eine unterbewusste Verzögerung von Seiten Tilmanns, da dieser sich vermutlich nicht mit dem Ende der Reise anfreunden konnte. Tatsächlich fuhr er nun auch besonders langsam am Rhein entlang und betonte die Schönheit der Stadt übermäßig häufig, was als Begründung diente noch ca. 7 Foto-Stops einzulegen. „Jetzt ist aber gut, jetzt wollen wir mal ankommen“, sagte Julia schließlich und wir fuhren die letzten Kilometer wieder etwas zügiger. Als wir in die Nikolausstraße abbogen, nahm Tilmann Julia noch einmal beim Radfahren an die Hand und wir sahen schon ein paar Luftballons am Haus sowie Katha, Fathi, Viktor und Marlene uns entgegenwinken.

Wir stiegen von den Rädern, umarmten alle, bekamen Orden umgehängt, öffneten die Tür zum Garten und Julia blieb der Mund offen stehen und ihr stiegen die Tränen in die Augen, als sie sah, wieviele Freunde und Familie sich dort versammelt hatten, um uns beide willkommen zu heißen. Viele liebe Freunde hatten keine Kosten und Mühen gescheut und waren ohne Julias Wissen nach Köln gekommen und schlossen die beiden Zurückkehrer jetzt fröhlich in die Arme. Das Ganze war von Tilmann eingefädelt worden, der davon ausgehen musste, dass unsere Freunde und Familie nicht freiwillig eine „Willkommen zurück“-Party veranstalten würden. So hatte er das Unterfangen als Überraschung für Julia umdeklariert.

Die Überraschung war groß und um ehrlich zu sein, auch die Überforderung. Wir hatten lange nicht mehr so viele vertraute Menschen auf einmal getroffen. Wir hatten zwar so viel erlebt und wollten wissen, wie es den Zuhausegebliebenen ergangen war, aber wir wussten gar nicht, wo wir anfangen sollten. Trotzdem fühlten wir uns einfach wohl, wieder in diesem Kreise aufgenommen zu werden. Jetzt waren wir wohl zuhause und das nächste Abenteuer ganz anderer Natur steht ja schon in den Startlöchern!

Wir wischten uns also den Staub von den Kleidern, lockerten unsere eingerosteten Gelenke, prüften, ob unsere Beine uns noch tragen konnten und stiegen hinab von Kristinas Dachboden. Am Ende der Treppe öffnete sich knarrend eine alte Holztür und dahinter erblickten wir gleißend helles Licht: Ist das der Weg zum Himmel?, fragten wir uns, oder in die Hölle? Nein, es ist der Weg zurück in ein normales Leben!

Ob dieses normale Leben nur der Himmel oder die Hölle ist und wie wir zurückblicken auf unser Nomadenleben, darüber sollt ihr noch mehr erfahren. Denn unsere Reise ist zwar zu Ende, dieser Blog ist es jedoch nicht. Ihr dürft euch also weiterhin auf neue Inhalte an dieser Stelle freuen 🙂

Wenn euch Beiträge gefallen, dann lasst es uns durch Kommentare wissen. Ihr könnt den Beitrag auch über die Social-Media-Buttons oberhalb der Kommentare teilen 🙂

Hier kommt ihr zu unserem Instagram-Account.

Hier könnt ihr unsere bisher zurück gelegte Route und (meistens) unseren aktuellen Standort sehen.

Diesen Blog abonnieren, um per E-Mail über neue Beiträge informiert zu werden:

10 Gedanken zu “ein abenteuer endet, ein anders beginnt… bald 🇩🇪

  1. Schön, dass ihr nach dieser langen Reise und diesen vielen Erlebnissen und Erfahrungen wieder gut zu Hause in Old Germany angekommen seid. Habe eure Reise mit viel Staunen verfolgt. Alles Gute euch Beiden für das neue Abenteuer:-)
    Schöne Grüße Angela

  2. Viele Windräder (im Norden), die sich schön in die Landschaft einfügen.
    😀

    Herzlich willkommen zurück!
    Ich wünsche euch einen erfolgreichen Prozess des wieder-Ankommens in der Heimat!

    1. Hallo Oliver,
      schön noch einmal von dir zu hören und toll dass du uns bis zum Schluss gefolgt bist! Wir haben unsere erste Nacht in Dieburg natürlich nie vergessen, nicht nur weil es so komfortabel bei euch war.
      Lieben Dank und viele Grüße ins Gersprenz Tal

  3. Wie schön, dass der Block weiterlebt, da bin ich aber mächtig gespannt, ich fürchtete mich schon vor Entzugserscheinungen

  4. Die RAF – Entführungsfotos sind echt das beste! 😅😂

    Was für ein schönes rührendes Ende Eurer Reise. 🙂

Hinterlasse einen Kommentar